FRANKFURT (Dow Jones)--Bundesbank-Präsident Jens Weidmann wird sein Amt zum Ende des Jahres aus "persönlichen Gründen" aufgeben. Diese überraschende Entscheidung sorgt für eine Vielzahl von Reaktionen und Einschätzungen:


CDU-Wirtschaftsrat bedauert Weidmanns Rücktritt 

Der Wirtschaftsrat der CDU hat den Rücktritt von Bundesbankpräsident Jens Weidmann als "eine schlechte Nachricht für Deutschland und Europa" bedauert. "Eine der wichtigsten, kompetentesten und glaubwürdigsten Stimmen eines stabilitätsorientierten Kurses geht damit verloren", sagte Generalsekretär Wolfgang Steiger. Vertrauen sei das kostbarste Gut einer jeden Notenbank, und Weidmann habe allen Versuchungen zum Trotz einen festen Wertekanon verteidigt. Seinen Rücktritt wertet der Unternehmerverband als besonderes Alarmsignal für alle, die Sorge hätten, "dass eine immer stärkere Vermischung von Geld- und Fiskalpolitik den Zusammenhalt der europäischen Gemeinschaft und die Stabilität des Euro gefährdet".


Habeck will Bundesbank "auf der Höhe der Herausforderungen der Zeit" 

Grünen-Co-Chef Robert Habeck hat Weidmann für seine Arbeit gedankt und zugleich eine Modernisierung der Bundesbank gefordert. "Ich habe großen Respekt vor der Arbeit von Jens Weidmann" sagte Habeck der Süddeutschen Zeitung. Weidmann habe die Bundesbank mehr als zehn Jahre lang mit starkem Engagement geführt. "Bei allen inhaltlichen Differenzen, die wir haben, habe ich ihn als jemanden wahrgenommen, der offen ist für Argumente und mit großer Glaubwürdigkeit für seine Positionen einsteht", sagte er. Zugleich forderte er, den Abschied als Chance für einen Neuanfang zu begreifen - "Für die Zukunft braucht es eine Bundesbank, die auf der Höhe der Herausforderungen der Zeit agiert."


Lindner: Wechsel an Bundesbank-Spitze darf nicht zu Kursänderung führen 

FDP-Chef Christian Lindner hat nach dem angekündigten Rücktritt von Bundesbankpräsident Jens Weidmann gefordert, dass mit dem Wechsel an der Spitze der Notenbank "keine Änderung des politischen Kurses der Bundesbank verbunden werden" dürfe. "Die Deutsche Bundesbank muss weiter Anwältin einer stabilitätsorientierten Geldpolitik in Europa bleiben", hob er hervor. Gerade angesichts der jüngsten Inflationsrisiken wachse die Bedeutung der Bundesbank in dieser Funktion. "Auf diese Inflationsrisiken muss reagiert werden können, und das beste Mittel dafür ist, die Stabilität unserer Währung im Blick zu behalten." Die FDP wolle ihren "Einfluss nutzen", um einen Kurswechsel zu verhindern.


Merkel nimmt Weidmanns Rücktritt mit Bedauern und Respekt zur Kenntnis 

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat laut ihrem Sprecher mit Bedauern auf Weidmanns Rücktrittsankündigung reagiert. "Die Bundeskanzlerin nimmt die Erklärung des Bundesbankpräsidenten, dass er zum Ende des Jahres sein Amt aufgeben will, mit Bedauern und mit großem Respekt zur Kenntnis", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert bei einer Pressekonferenz in Berlin. Weidmann habe die Bundesbank mehr als zehn Jahre lang "überaus erfolgreich geleitet". Er habe Merkel "vorher über seine Absicht informiert". Seibert stellte klar, es werde die Aufgabe "einer kommenden Bundesregierung sein, einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin zu finden, der eben das stabilitätsorientierte Erbe der Bundesbank fortsetzt."


Scholz dankt Weidmann für "außerordentliches Engagement" 

Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) hat Weidmann für sein Wirken gedankt und auch seine positive Rolle bei für die internationalen Finanzmärkte unterstrichen. "Ich danke Jens Weidmann für sein außerordentliches Engagement an der Spitze der Bundesbank", erklärte Scholz über den Kurznachrichtendienst Twitter. "Er hat nicht nur die Geldpolitik in Deutschland und Europa maßgeblich geprägt, sondern auch die Weiterentwicklung der internationalen Finanzmärkte vorangebracht", hob der Bundesfinanzminister und Kanzlerkandidat der SPD hervor.


BdB/Sewing zollt Weidmann Achtung und Respekt 

"Jens Weidmann war ein Jahrzehnt lang ein starker Präsident der Bundesbank und eine international sehr geachtete Stimme in der Geldpolitik", so Christian Sewing, Präsident des Bundesverbands deutscher Banken (BdB). Weidmann habe auch "in turbulenten Zeiten, unter anderem während der Euro-Krise und der Corona-Pandemie, den geldpolitischen Stabilitätskurs verteidigt, aber gleichzeitig die gesamtwirtschaftliche Situation im Blick behalten." Dafür gebühre ihm große Anerkennung und Respekt, sagte Sewing, der auch Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bank ist.


Lindner bedauert Weidmanns Rücktritt 

Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner hat angesichts des Rücktritts von Bundesbankpräsident Jens Weidmann "Kontinuität" angemahnt. "Den Rücktritt von Jens Weidmann bedauern wir", erklärte Lindner über den Kurznachrichtendienst Twitter. "Er stand für eine stabilitätsorientierte Geldpolitik, deren Bedeutung angesichts von Inflationsrisiken wächst. Mit ihm war die Deutsche Bundesbank eine wichtige Stimme in Europa", hob Lindner hervor, der als ein möglicher Kandidat für den Posten des Bundesfinanzministers in einer Ampel-Koalition im Gespräch ist. "Die FDP empfiehlt Deutschland Kontinuität."


Capital Economics: Nachfolger taubenhafter und grüner ausgerichtet 

Der Rücktritt von Weidmann gibt der neuen Bundesregierung die Möglichkeit, ihren eigenen Kandidaten für seine Nachfolge zu wählen, sagt Andrew Kenningham, Chefökonom für Europa bei Capital Economics. Er rechnet nicht mit einem dramatischen Politikwechsel, meint aber, dass der neue Präsident wahrscheinlich die allgemein "taubenhaftere" und "grüne" Richtung, in die Präsidentin Christine Lagarde die Europäischen Zentralbank führt, stärker unterstützen wird. Kennigham geht davon aus, dass der nächste Bundesbank-Präsident den Ansichten der neuen Regierung in wichtigen Fragen wie Klimawandel und Europa wohlgesinnt sein wird. Dennoch dürfte die Bundesbank eine der Zentralbanken der Eurozone bleiben, die angesichts der traditionellen Inflationssorgen Deutschlands und seiner Position als Nettogläubiger eher zu einer strafferen Politik neigt, so Kenningham.


ZEW: Rücktritt ist herber Verlust für EZB 

ZEW-Ökonom Friedrich Heinemann sieht in dem Rücktritt von Jens Weidmann einen herben Verlust für den EZB-Rat. "Weidmann gehört zu den wenigen Mahnern im Rat, die kontinuierlich vor einer Überforderung der Geldpolitik und einer zu großen Nähe zur Fiskalpolitik warnen. 2022 könnte den entscheidenden Test bringen, ob die EZB das Ziel der Inflationsbekämpfung ernster nimmt als das Interesse der Finanzminister an niedrigen Zinsen und Anleihekäufen", erklärt Heinemann. Hier werde Weidmann fehlen. Die neue Bundesregierung habe eine große Verantwortung bei der Neubesetzung. Wenn Deutschland eine geldpolitische Taube in den EZB-Rat schicken würde, wäre das fatal.


Krämer (Coba): Nachfolger wird weniger falkenhaft sein 

Einen wichtigen Faktor für den Rücktritt von Weidmann sieht Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer darin, dass sich der Bundesbank-Präsident im EZB-Rat mit seinen Vorstellungen häufig nicht habe durchsetzen können. Daher werde ein Nachfolger wohl weniger falkenhaft sein als Weidmann. Zwar verweise Weidmann auf persönliche Gründe für seine Entscheidung. Auffällig sei jedoch, dass Aussagen über die Geldpolitik in seinen Schreiben einen breiten Raum einnehmen. Die Commerzbank erwartet jetzt mehr denn je, dass die EZB auf absehbare Zeit nicht aus ihrer sehr expansiven Geldpolitik aussteigt, obwohl die Inflationsrisiken zuletzt deutlich gestiegen sind.


Lagarde: Weidmann beeindruckte mit seinem konstruktiven Ansatz 

EZB-Präsidentin Christine Lagarde hat den Rücktritt von Weidmann bedauert. Er habe klare Ansichten zur Geldpolitik vertreten, wobei sie stets beeindruckt war "von seiner Suche nach einer gemeinsamen Basis im EZB-Rat, von seinem Einfühlungsvermögen für seine Kollegen im Eurosystem und von seiner Bereitschaft, einen Kompromiss zu finden." Dies habe sich besonders deutlich bei der Strategieüberprüfung gezeigt, "zu deren erfolgreicher einstimmiger Einigung im EZB-Rat er maßgeblich beitrug", heißt es in einer Erklärung von Lagarde. Außerdem habe er als dienstältestes Mitglied des EZB-Rates über eine unvergleichliche Erfahrung verfügt, die er immer bereit gewesen sei zu teilen. Weidmann gehörte dem Gremium mehr als zehn Jahren an.


Finanzministerium dankt Weidmann für vertrauensvolle Zusammenarbeit 

Das Bundesfinanzministerium hat mit einem Dank an Bundesbankpräsident Jens Weidmann auf dessen Rücktrittsankündigung reagiert. "Danke für die gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit, Jens Weidmann!", erklärte Finanzstaatssekretär Wolfgang Schmidt über den Kurznachrichtendienst Twitter als Reaktion auf die entsprechende Mitteilung der Bundesbank.

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October 20, 2021 10:34 ET (14:34 GMT)