BERLIN (dpa-AFX) - Seit Beginn der Pandemie sind in Deutschland mehr als 100 000 Menschen an oder mit dem Coronavirus gestorben. Das geht aus Zahlen von Donnerstagmorgen hervor, die den Stand des Dashboards des Robert Koch-Instituts (RKI) von 03.47 Uhr wiedergeben. Demnach meldeten die Gesundheitsämter jüngst 351 Todesfälle binnen 24 Stunden, insgesamt sind es nun 100 119. "Hinter dieser Zahl stehen 100 000 Menschen, die ihr Leben verloren haben. Und noch viel mehr Kinder, Eltern, Geschwister, Partner*innen, Freund*innen, Kolleg*innen, die um sie trauern", schrieb das RKI dazu auf Twitter. Eine Vielzahl der Todesfälle sei vermeidbar, etwa durch Impfung.

Wer waren diesen Menschen? Der RKI-Wochenbericht (Stand 18. November) erlaubt zumindest eine Annäherung: Der überwiegende Großteil der Gestorbenen, 86 Prozent, sei 70 Jahre und älter gewesen. Mit dem Alter steigt bei Corona das Risiko für schwere und tödliche Verläufe. Die Zahl der Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen unter 20, die in dem Zusammenhang starben, ist laut Bericht mit 33 wesentlich niedriger. Die Todesfälle bei jungen Menschen prüft das RKI einzeln.

Neben dem Alter gehen auch eine Reihe von Vorerkrankungen und Behinderungen mit einem höheren Covid-19-Risiko einher. Wie die Ständige Impfkommission aufzählte, gilt das etwa bei dialysepflichtigen chronischen Nierenerkrankungen, Demenz, Down-Syndrom, starkem Übergewicht, Diabetes, bestimmten Lungenerkrankungen und psychiatrische Erkrankungen wie schwerer Depression. Auch Schwangere haben ein deutlich erhöhtes Corona-Risiko: Ärzte berichteten wiederholt von Fällen, in denen Babys noch gerettet werden konnten, die Mütter aber starben.

Es gibt aber auch noch weitere Faktoren: Während der zweiten Welle im vorigen Winter stellte das RKI fest, dass der Anstieg der Todesfälle in sozial benachteiligten Regionen Deutschlands am stärksten ausfiel.

Mit täglichen Meldungen einer abstrakten Zahl von Toten gingen durchaus auch Gewöhnungseffekte einher, sagte der Soziologe Matthias Meitzler von der Universität Passau. Das klinge zwar hart, lasse sich aber nicht ganz vermeiden. "Wir können nun mal nicht um alle Menschen trauern. Ansonsten würde unser Alltag schlichtweg nicht funktionieren", sagte der Trauerforscher. "Das macht betroffen, das schockiert, aber es sind nun mal in der Regel keine persönlichen Verluste aus dem unmittelbaren Umfeld." In der Trauerkultur habe Corona einiges durcheinandergebracht, ob beim Abschied am Sterbebett oder bei Trauerfeiern. Meitzler sprach von einer "weiteren Privatisierung von Trauer".

Die meisten Corona-Toten gab es laut RKI im vergangenen Winter mit teils mehr als 1000 pro Tag gemeldeten Fällen. Damals starben auch nach Ausbrüchen in Alten- und Pflegeheimen viele Menschen. Momentan sind die Sterbezahlen wesentlich niedriger, obwohl es deutlich mehr Infektionen gibt. Am Donnerstag erreichte die Sieben-Tage-Inzidenz einen Höchststand von 419,7. Die Zahl der binnen eines Tages übermittelten Corona-Neuinfektionen überschritt erstmals die Schwelle von 70 000. Die Gesundheitsämter meldeten laut RKI-Angaben 75 961 Fälle in 24 Stunden. Von diesen Menschen stürben in zwei bis drei Wochen einige Hundert, mahnte das RKI.

Dass jetzt weniger Infizierte sterben, liegt auch daran, dass große Teile der Bevölkerung geimpft sind - insbesondere bei den besonders gefährdeten älteren Menschen. Die Schutzwirkung der Impfung vor einem coronabedingten Tod schätzte das RKI schätzte das RKI für die vergangenen Wochen bei Menschen ab 60 meist auf über 85 Prozent. Unter den Patienten, die eine intensivmedizinische Behandlung bekommen, liegt die Sterblichkeit laut Stefan Kluge, Direktor der Klinik für Intensivmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, bei 30 bis 50 Prozent.

Um die Zahl der Corona-Toten aber dauerhaft niedrig zu halten, müssten deutlich mehr Menschen in Deutschland geimpft sein. Sollte es da keinen Fortschritt geben, müsse sich Deutschland auf mindestens 100 000 weitere Corona-Tote vorbereiten, "bevor sich das Fahrwasser beruhigt", sagte kürzlich der Berliner Virologe Christian Drosten. "Das ist eine konservative Schätzung." Er leitet die Zahl durch vergleichende Überlegungen mit Großbritannien her.

Laut RKI gehen in die Statistik Todesfälle ein, bei denen ein laborbestätigter Corona-Nachweis vorliegt und die in Bezug auf diese Infektion verstorben sind. Erfasst werden demnach sowohl Menschen, die unmittelbar an der Erkrankung verstorben sind, als auch Infizierte mit Vorerkrankungen, bei denen sich nicht abschließend die Todesursache bestimmen lässt.

Im Vergleich zu einigen anderen Industrienationen steht Deutschland noch relativ gut da, wie aus Daten der Johns-Hopkins-Universität (JHU) in Baltimore hervorgeht. Deutlich mehr Tote pro 100 000 Einwohner sind es in Frankreich, Spanien, Großbritannien und Italien. Fast doppelt so viele Corona-Tote pro 100 000 Einwohner wie Deutschland verzeichnen die USA, mehr als drei Mal so viele sind es in Bulgarien. Dagegen gibt es in Dänemark bislang weniger als halb so viele Corona-Tote pro 100 000 Einwohner wie in Deutschland. Allerdings ist zu beachten, dass die Zahlen etwa wegen unterschiedlicher Meldesysteme nur bedingt Vergleiche zulassen./ggr/DP/stw