Berlin/Luxemburg (Reuters) - Die EU-Staaten haben sich nach zähem Ringen auf eine Reform der gemeinsamen Asylpolitik verständigt, mit der der Zuzug von Flüchtlingen begrenzt werden soll.

Die Innenministerinnen und Innenminister der 27 Mitgliedstaaten einigten sich bei ihren Beratungen am Donnerstag in Luxemburg mehrheitlich nach rund zwölfstündigen Verhandlungen auf neue Vorgaben, wie die amtierende schwedische Ratspräsidentschaft mitteilte. Bundesinnenministerin Nancy Faeser sprach von einem "historischen Ergebnis".

"Wir haben heute viel Schlimmeres verhindert", sagte Faeser im ZDF "heute journal". Deutschland habe sich erfolgreich dafür eingesetzt, "dass Menschenrechtsstandards eingehalten werden". Ihren Angaben zufolge stimmten nur Polen und Ungarn am Ende gegen die Reform. Malta, die Slowakei und Bulgarien enthielten sich demnach. Auch Bundesaußenministerin Annalena Baerbock begrüßte die Einigung und erklärte: "Diese Entscheidung war seit Jahren überfällig, um zu verhindern, dass es wieder zu Zuständen an den EU-Außengrenzen wie in Moria kommt und dass Europa auseinanderfliegt." Die neue Regelung "schafft eine Perspektive, das unsägliche Leid an den EU-Außengrenzen zu beenden".

Nach der verabschiedeten Verordnung sollen sich Menschen mit wenig Aussicht auf Asyl in Europa - etwa aus Marokko und Tunesien - an der EU-Grenze einem Prüfverfahren stellen und bei Ablehnung direkt abgewiesen werden. Dieses Vorgehen hat in Deutschland besonders in Teilen der Grünen, aber auch bei der SPD für Kritik gesorgt. Die Bundesregierung trägt die Pläne im Grundsatz mit. Faeser betonte, dass dies am Ende nur wenige Menschen betreffen werde.

Allerdings hatte sich die Bundesregierung dafür eingesetzt, dass Familien mit Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren von solchen Grenzverfahren ausgenommen werden. Faeser konnte sich damit aber nicht durchsetzen. Ihren Angaben zufolge wurde Deutschland dabei nur von Luxemburg und Portugal unterstützt. Allerdings sei es gelungen, dass unbegleitete Minderjährige nicht in das Grenzverfahren müssten, sagte die Ministerin. Insofern habe die Bundesregierung "viel vorzuweisen". Auch Baerbock betonte: "Wir haben hart dafür gekämpft, Kinder und ihre Familien auszunehmen, leider ziemlich alleine."

Umstritten war auch die Verteilung anerkannter Schutzsuchender auf die EU-Staaten. "Mit der heutigen Einigung soll es nun erstmalig eine Registrierung aller Geflüchteten und eine auf Dauer angelegte, verbindliche Lösung für einen Solidaritäts- und Verteilmechanismus geben", erklärte Baerbock. "Damit werden die Außengrenzstaaten spürbar entlastet und Geflüchtete aus Syrien, Irak, Afghanistan endlich stärker in andere Mitgliedsstaaten verteilt, wozu bisher nur ganz wenige Mitgliedsstaaten bereit waren." Faeser betonte, dies sei nun die Rechtslage in der EU. Insofern gehe sie davon aus, dass auch Polen und Ungarn "mitmachen müssen".

"MAN KANN WEGEN MIGRATION EINE WAHL GEWINNEN ODER VERLIEREN"

Vor allem Polen und Ungarn weigern sich wie schon in der Flüchtlingskrise 2015/2016, die überwiegend aus islamischen Ländern kommenden Menschen aufzunehmen. Möglich ist nun, dass die Verweigerer für die Nichtaufnahme von Flüchtlingen eine Kompensationszahlung leisten müssen. Pro nicht aufgenommenem Flüchtling ist dafür eine Art Gebühr von 20.000 Euro fällig.

Demgegenüber stehen vor allem die Südländer. Griechenland und Italien etwa tendierten bislang dazu, viele Menschen nicht vor Ort einem Asylverfahren zu unterziehen, sondern lassen sie unregistriert weiterreisen, meist mit dem Ziel Deutschland. Nach den geltenden sogenannten Dublin-Regeln wären sie eigentlich verpflichtet, die Asylverfahren selbst zu organisieren. Deutschland wiederum sieht sich der Kritik ausgesetzt, mit hohen Sozialleistungen die Menschen nach Europa zu locken. Zudem vorgesehen ist, die Außengrenzen der EU besser zu schützen und nicht anerkannte Asyl-Bewerber leichter in sichere Herkunfts- und Transitländer abzuschieben.

Brisant ist das Thema für die Politik vor allem, weil angesichts steigender Flüchtlingszahlen rechtsnationale Kräfte Aufwind erhalten. Unter anderem auch deshalb schwebt in Deutschland die AfD in jüngster Zeit im Umfragehoch. "Man kann wegen der Migration immer noch in jedem Mitgliedsland eine Wahl gewinnen oder verlieren", sagte ein ranghoher EU-Diplomat. "Das illustriert, wie umstritten das Thema ist."

(Mitarbeit: Gabriela Baczynska; redigiert von Scot W. Stevenson; Bei Rückfragen wenden Sie sich an berlin.newsroom@tr.com)

- von Alexander Ratz