Von Hans Bentzien

FRANKFURT (Dow Jones)--Es wäre sehr nützlich, heute schon zu wissen, um wie viele Basispunkte die Europäische Zentralbank (EZB) ihre Zinsen am 27. Oktober anheben wird - erneut um 75 Basispunkte? Analysten müssen, um das herauszufinden, zunächst das Gleiche tun wie die Mitglieder des EZB-Rats: Daten analysieren und Prognosen zur weiteren Inflationsentwicklung erstellen. Darüber hinaus achten sie auf Aussagen von EZB-Ratsmitgliedern und analysieren EZB-Veröffentlichungen, deren es in der Woche zwei wichtige geben wird: Das Protokoll der EZB-Ratssitzung vom 7./8. September und die Daten zum Anleihekauf im Rahmen des Pandemiekaufprogramms PEPP. Das ist nämlich nicht beendet, sondern befindet sich in der "Reinvestitionsphase".

Die Woche bietet aber nicht nur Gelegenheit, der EZB den Puls zu fühlen. Es kommen auch Daten zum Auftragseingang, zum Umsatz und zur Produktion in der deutschen Industrie, sowie der US-Arbeitsmarktbericht - ein Muss für jeden Beobachter der US-Notenbank, die alle anderen Zentralbanken mit ihren Zinserhöhungen vor sich her treibt.


   Wie scharf waren die Zinsdiskussionen im EZB-Rat im September? 

Der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) will über seine Zinsentscheidungen neuerdings zwar "von Meeting zu Meeting" entscheiden, aber Anfang September verkündete er gleichwohl seine Absicht, die Zinsen "in den nächsten paar Meetings" zu erhöhen. Dahinter steckt die Gewissheit, dass die Zinsen angesichts der hohen Inflation (zuletzt 10 Prozent) immer noch viel zu niedrig sind.

Zusammen mit der Aussage einiger Ratsmitglieder, dass ein neutrales Zinsniveau, bei dem die Geldpolitik die Wirtschaft weder bremst noch antreibt, gegen Jahresende erreicht sein soll, ergibt das einen konstanten Handlungsdruck. Im Vorfeld der EZB-Ratssitzung Ende Oktober spekulieren Marktteilnehmer auf einen weiteren Zinsschritt von 75 Basispunkten - mindestens. Das am Donnerstag (13.30 Uhr) anstehende Protokoll der Beratungen vom 7./8. September könnte Aufschluss über die internen Diskussionen zum Thema Zinserhöhungstempo geben.


   EZB veröffentlicht Ausmaß der Ankäufe italienischer Staatsanleihen 

Gebremst werden Zinsphantasien allerdings von der Befürchtung, dass eine allzu rasante Straffung hoch verschuldete Staaten in Bedrängnis bringen könnte. Die EZB hatte daher in einer bahnbrechenden Entscheidung beschlossen, im Notfall gezielt Anleihen eines Staats zu kaufen, wenn dessen Anleiherenditen zu hoch erscheinen - das Durchwirken ihrer Geldpolitik dorthin also nicht anders gewährleistet werden kann. Festgemacht würde das an der Differenz der Staatsanleiherenditen gegenüber einer Benchmark.

Ein Schelm, wer da an Italien denkt, wo im September die eher EU-kritischen Parteien die Parlamentswahl gewonnen haben. Die erste Verteidigungslinie gegen aus EZB-Sicht ungerechtfertigt hohe Anleiherenditen ist allerdings die Wiederanlage von Tilgungsbeträgen von Anleihen, die im Rahmen des Pandemieprogramms PEPP gekauft und dann fällig wurden. Die EZB kann die Erträge aus deutschen, französischen oder niederländischen Staatsanleihen neuerdings nämlich dazu einsetzen, um neue italienische oder andere südeuropäische Papiere zu kaufen und damit deren Rendite zu senken. Am Mittwoch (15.00 Uhr) informiert die EZB darüber, in welchem Ausmaß das im August und September passiert ist.


   Deutscher Auftragseingang sinkt zum siebten Mal in Folge 

Der Auftragseingang der deutschen Industrie ist (voraussichtlich) noch nie so viele Male in Folge gesunken wie zuletzt - und noch nie war das so egal wie jetzt. Volkswirte erwarten, dass die Bestellungen im August gegenüber dem Vormonat um 0,5 Prozent zurückgegangen sind. Es wäre der siebte Rückgang in Folge und damit einmal mehr als 2008/2009 nach der Pleite von Lehman Brothers mit anschließender Finanzkrise. Allerdings waren die Auftragsbestände der Unternehmen auch noch nie zuvor so hoch - was maßgeblich daran liegt, dass sie nicht genug Vorprodukte und Rohstoffe haben, um sie abzuarbeiten. Interessanter werden die zeitgleich kommenden Daten zum Umsatz im verarbeitenden Gewerbe, die einen Vorgeschmack auf die am nächsten Tag anstehenden Produktionsdaten geben werden. Veröffentlichung: Donnerstag, 8.00 Uhr.


   Materialmangel und Inflation belasten deutsche Produktion im August 

Die Produktion im produzierenden Sektor (Freitag, 8.00 Uhr) dürfte im August erneut von einem Mangel an Vorprodukten und Rohstoffen sowie von der hohen Inflation gebremst worden sein. Von Dow Jones Newswires befragte Volkswirte erwarten, dass der Output von Industrie, Bau- und Energiewirtschaft gegenüber dem Vormonat um 0,5 Prozent gesunken ist, nachdem er im Juli um 0,3 Prozent nachgelassen hatte. Viele Analysten rechnen damit, dass die deutsche Volkswirtschaft im dritten Quartal geschrumpft ist.

Weitere deutsche Daten sind die zu Exporten und zur Handelsbilanz im August (Mittwoch, 8.00 Uhr) und zu den Einzelhandelsumsätzen (Freitag, 8.00 Uhr)


   US-Arbeitsmarkt im September robust trotz Rezession 

Das Jobwachstum in den USA dürfte im September trotz der technischen Rezession robust geblieben sein. Ökonomen rechnen nach dem Factset-Konsens mit einem Plus von 250.000 (August: 315.000) zusätzlichen Stellen. Die Arbeitslosenquote soll der Prognose zufolge bei 3,7 Prozent verharren. Bei den Stundenlöhnen erwarten die Ökonomen ein monatliches Plus von 0,3 (0,3) Prozent und eine jährliche Steigerung von 4,7 (5,2) Prozent. Die Daten werden am Freitag (14.30 Uhr) veröffentlicht.

Die US-Notenbank hatte zuletzt zum dritten Mal in Folge ihren Leitzins um 75 Basispunkte erhöht, um die hohe Inflation einzudämmen. In ihren jüngsten Projektionen geht die Fed davon aus, dass ihr Leitzins schneller und auf ein höheres Niveau als bislang erwartet steigt, dass sich die Wirtschaft abschwächt und dass die Arbeitslosigkeit in einem Maße zunimmt, das historisch mit Rezessionen verbunden ist; das würde eine Arbeitslosenquote von etwa 5 Prozent bedeuten.

(Mitarbeit: Andreas Plecko)

Kontakt zum Autor: hans.bentzien@dowjones.com

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October 03, 2022 01:00 ET (05:00 GMT)