München (Reuters) - Der weltgrößte Prothesenhersteller Ottobock schiebt seinen Börsengang auf die lange Bank und tauscht die komplette Führungsriege aus.

Grundsätzlich bleibe der Gang an den Kapitalmarkt eine Möglichkeit für das Familienunternehmen aus dem niedersächsischen Duderstadt, sagte Mehrheitseigentümer und Verwaltungsratschef Hans Georg Näder am Donnerstag. Doch die geopolitische Lage sei zu schlecht dafür. "Ottobock steht in dem aktuellen Umfeld nicht unter Druck, einen Börsengang machen zu müssen", sagte Näder in einem Interview im Intranet, das Reuters vorlag. "Wir können uns den richtigen Zeitpunkt selbst wählen." Zurzeit sei der Schritt "nicht erstrebenswert".

Näder musste laut Insidern befürchten, dass Ottobock nicht die angepeilte Bewertung von fünf bis sechs Milliarden Euro erreichen würde, nachdem die Aktienkurse anderer Medizintechnik-Unternehmen zuletzt in die Knie gegangen waren. Zuletzt war der Börsengang intern bereits auf den Herbst verschoben worden. Der seit vier Jahren amtierende Vorstandschef Philipp Schulte-Noelle und die neue Finanzchefin Kathrin Dahnke hatten seit Monaten darauf hingearbeitet. Sie verlassen das Unternehmen nun ebenso wie Technik-Chef Andreas Goppelt.

Finanzchefin Dahnke hatte noch in der vergangenen Woche gesagt, Ottobock sei mit den Börsenplänen auf Kurs. Der Jahresabschluss für 2021 war zum ersten Mal nach dem internationalen IFRS-Bilanzierungsstandard aufgestellt worden - eine Voraussetzung für einen Gang an den Kapitalmarkt. Vor einem neuen Anlauf will Näder den Schwerpunkt wieder mehr auf das operative Geschäft legen, um die Bewertung mit einem neuen Führungsteam nach oben zu treiben. "Dementsprechend schalten wir jetzt einen Gang hoch", sagte Näder. Nachhaltiges Wachstum, operative Exzellent und die Erfahrungen der Anwender von Prothesen, Orthesen und Rollstühlen stünden nun wieder im Vordergrund. Ottobock hatte den Umsatz 2021 um 13 Prozent auf 1,19 Milliarden Euro gesteigert.

Ein Nachfolger für Schulte-Noelle wird noch gesucht. Bis dahin übernimmt Vertriebschef Oliver Jakobi den Posten. Als neuen Finanzchef hatte Ottobock schon am Mittwoch Arne Kreitz installiert. Der 42-Jährige ist seit 2018 in der erweiterten Geschäftsführung für die Strategie und für Übernahmen (M&A) zuständig. Goppelts Aufgaben übernimmt der für das operative Geschäft zuständige Arne Jörn mit.

Der schwedische Finanzinvestor EQT ist seit 2017 mit 20 Prozent an Ottobock beteiligt. EQT-Manager Marcus Brennecke stellte sich hinter den Kurswechsel, der dem Investor zunächst die Möglichkeit verbaut, einen Ausstieg in Angriff zu nehmen. Damit sich die Investition lohnt, muss Ottobock später aber mehr Rendite liefern.

(Bericht von Alexander Hübner, redigiert von Olaf Brenner. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)