Zürich (awp) - Stephan Widrig, Chef des Flughafens Zürich, hält Aussagen über ein aktuell herrschendes Sommer-Chaos am grössten Schweizer Flughafen für "überzeichnet". Das sagt er im Interview mit der "Sonntagszeitung". Noch im Januar seien täglich 15'000 Passagiere über Zürich gereist, jetzt seien es 90'000. "Da ist klar, dass noch nicht alles perfekt funktioniert", so Widrig.

Doch die Schweizer seien verwöhnt, weil sie es gewohnt sind, oft nicht lange am Flughafen warten zu müssen. Zudem würden die aktuell breit thematisierten Flugverspätungen meistens nicht viel mehr als 15 Minuten betragen. Oft könnten die Maschinen diese Verspätung aufholen. "Auch das ist also nicht so dramatisch, wie es auf den ersten Blick wirkt", sagt er.

Auch zu Berichten, wonach sich am Flughafen viele herrenlose Koffer stapeln, nimmt er im Interview Stellung. In der Tat stünden teilweise mehrere Hundert Koffer in der Zollhalle des Flughafens. "Auf die Gesamtzahl von 90'000 Passagieren am Tag ist die Zahl der liegen gebliebenen Koffer am Schluss aber doch sehr klein."

Widrig räumt aber auch ein, dass die Qualität am Flughafen derzeit nicht immer perfekt sei. Er bedauere das. "Doch es braucht noch ein paar Monate Normalität, bis sich alles einpendelt hat."

26 Entlassungen während der Krise

Am Samstag haben sich am Flughafen Zürich Mitarbeitende des grössten Bodenabfertigers Swissport lautstark für bessere Arbeitsbedingungen stark gemacht. Auf die Frage, ob es in der Branche bessere Löhne brauche, erwidert Widrig: "Die Luftfahrt ist sehr, sehr kompetitiv, weil sie sehr international ist. Und der Konsument ist preissensitiv." Firmen müssten darauf reagieren.

"Positiv formuliert könnte man auch sagen, dass es eine sehr effiziente Branche ist." Das Reisen sei demokratisiert worden und die allermeisten Schweizer könnten es sich heute leisten zu fliegen.

Auf die Frage, ob der grosse Stellenabbau während der Pandemie, wie etwa bei Swissport oder bei der Fluggesellschaft Swiss, nicht kurzsichtig gewesen sei, sagt Widrig: "Es hilft sicher, wenn man auch in der Krise eine langfristige Sicht hat." Die Flughafen Zürich AG selbst habe während der Pandemie nur 26 von 1700 Angestellten entlassen.

Gut durch die Krise gekommen

Die langfristige Sicht prägte gemäss dem Interview bereits vor der Krise sein Handeln. Dass man nicht mehr Fremdkapital aufgenommen und somit höhere Gewinne hätte erzielen können, sei korrekt. "Einige Aktionäre haben sich damals in diese Richtung geäussert. Wir hatten aber immer noch das Swissair-Grounding in den Knochen und haben uns dagegen entschieden." In der Krise habe sich diese Strategie nun ausgezahlt.

Dass der Flughafen während der Pandemie solide dastand, führt Widrig aber auch auf die Diversifizierung des Geschäftsmodells zurück. Man habe etwa in Immobilien und Kommerz investiert, um nicht komplett vom volatilen Fluggeschäft abhängig zu sein.

Aktuell sei die Pandemie am Flughafen grösstenteils verarbeitet, sagte Widrig. "Die geopolitische Unsicherheit belastet uns stärker."

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