Harbour Energy ist das Ergebnis der Fusion zwischen Chrysaor und Premier Oil, zwei britischen Öl- und Gaskonzernen. Chrysaor wurde 2007 gegründet und ist durch eine Reihe erfolgreicher Akquisitionen stark gewachsen. Premier Oil erkundet seit mehr als einem Jahrhundert den Meeresboden auf der Suche nach Öl und Gas, das gefördert werden kann.

Durch den Zusammenschluss der beiden Unternehmen entstand das größte unabhängige Öl- und Gasunternehmen, das an der FTSE notiert ist (FTSE ist der Aktienindex der Londoner Börse mit den 100 am besten kapitalisierten Unternehmen Großbritanniens).

Die Fusion ermöglicht die Produktion von bis zu 200.000 Barrel Öl pro Tag. Und um eine weitere Größenordnung zu nennen: Harbour macht 15% der Öl- und Gasproduktion von Großbritannien aus und ist damit der größte Produzent des Landes. Dieses Großunternehmen bringt neuen Schwung in eine Region, in der die Ölförderung relativ gesehen teurer ist als in anderen Teilen der Welt.

Wie die unten stehende Grafik zeigt, sind die Produktionskosten für ein Barrel in Großbritannien bei weitem die höchsten. Dafür gibt es zwei Gründe: Zum einen das "Capital Spending" (CAPEX), d.h. die Kosten für den Erwerb, die Verbesserung und die Instandhaltung. Bei einem Ölunternehmen sind dies die Ausrüstungen, die für das Bohren und die Förderung von Öl benötigt werden. Zum anderen die "Produktions- und Transportkosten" (OPEX), d.h. die Betriebskosten wie Transportkosten für Öl und Wasser, Strom für die Anlagen usw..

Im Gegensatz zu anderen Ölgesellschaften, die sich um Diversifizierung bemühen, ist Harbour (noch) ein "Pure Player". Seine Produktion ist zu gleichen Teilen auf Öl und Gas aufgeteilt: Über 90% der Rohstoffe kommen aus der Nordsee. Die Gruppe zeichnet sich durch eine Wachstumsstrategie aus, die auf Fusionen und Übernahmen in der Nordsee und auf internationaler Ebene basiert.

Eine gut durchdachte Strategie

Der Trumpf im Ärmel von Harbour ist seine Fähigkeit, die Lebensdauer der Felder, die er in der Nordsee erwirbt, zu verlängern. Dem Low-Cost-Betreiber gelingt es, eine operative Marge von mehr als 50% beim Verkauf von Fässern mit Brent zu erzielen. Dank dieser Strategie generiert die Gruppe einen enormen Cashflow: bis 2022 hat Harbour es geschafft, mehr als 2 Mrd. USD an FCF (Free Cash-Flow) zu erwirtschaften. Der FCF Yield ist ein Indikator, der die Fähigkeit eines Unternehmens misst, seinen Investoren Barmittel als Prozentsatz des Wertes zurückzugeben: Er stieg auf über 50% im Jahr 2022. Diese Stärke macht es der Gruppe leicht, ihre Schulden in Verbindung mit getätigten Akquisitionen zu tilgen. Harbour zahlte die Verbindlichkeiten von Premier Oil in Höhe von 2,7 Mrd. USD in nur zwei Jahren zurück.

Bilanzanalyse von Harbour Energy

Nach Schätzungen des Unternehmens wird der Cashflow ab 2023 positiv sein. Der gesamte Finanzfluss soll für neue Akquisitionen, Aktienrückkäufe und Dividendenzahlungen an die Aktionäre genutzt werden.

Die Zukunft scheint rosig zu sein, zumal die Notwendigkeit, eine gewisse Form der Energieunabhängigkeit der europäischen Staaten wieder aufzubauen, die Attraktivität des Unternehmens für Investoren erhöht.

Die geopolitische Lage im Jahr 2022 war für den Energiesektor sehr günstig. Die Gruppe steigerte ihre Produktion um mehr als 27%. Dank der höheren Gaspreise stieg der Umsatz im gleichen Zeitraum um 53%. Als Krönung des Ganzen schossen die operativen Margen in die Höhe, da die Stückkosten pro Barrel Öl sanken (je mehr das Unternehmen produziert und seine Anlagen für neue Akquisitionen nutzt, desto niedriger sind die Stückkosten pro Barrel).

Ausblick

Mit dem zukünftig positiven Cashflow wird das Unternehmen international expandieren können, also auch außerhalb der Nordsee. Das jüngste Projekt ist die Erschließung eines Vorkommens in Indonesien in Partnerschaft mit Mubadala. Harbour scheut keine Kosten und Mühen bei der Suche nach neuen Vorkommen - sei es im Golf von Mexiko oder entlang der brasilianischen Küste. Gleichzeitig behält der Konzern die Investitionen in seine "goldene Gans" im Blick: Er expandiert weiterhin in der Nordsee mit drei Projekten zur Übernahme von Ölplattformen, um seinen Marktanteil zu erhöhen und die Kosten pro Barrel weiterhin zu senken.

Doch Harbour ist nicht ausschließlich auf Expansionskurs, sondern strebt auch eine Diversifizierung in seinem ursprünglichen Spielfeld an: Das Unternehmen setzt zukünftig auf die Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid. Mithilfe dieses Verfahrens will die Gruppe ihre alten Plattformen umrüsten, deren Gasvorkommen erschöpft sind, um dort dauerhaft CO2 speichern zu können. Harbour plant die ersten CO2-Einspeisungen für das Jahr 2027 und hat zum Ziel, ein wichtiger Akteur in der Nordsee in diesem Bereich zu werden.

Stärken:

  • Fähigkeit, FCF zu erwirtschaften
  • Größter britischer Produzent
  • Eine der stärksten Bilanzen der Branche
  • Eine funktionierende Strategie der Wertschöpfung ausgemusterter Vermögenswerte
  • Ein erstes Engagement in der CO2-Speicherung, das weiterverfolgt werden soll

Schwächen:

  • Das Geschäftsmodell erfordert eine Politik des regelmäßigen externen Wachstums
  • Ausrichtung bislang zu 90% auf Großbritannien
  • Risiko, dass der FCF ausschließlich für M&A verwendet wird