KIEW (dpa-AFX) - Deutschland sucht im Ukraine-Konflikt wieder den direkten Draht zu Moskau. Bundeskanzler Olaf Scholz forderte den russischen Präsidenten Wladimir Putin in einem Telefonat dazu auf, so schnell wie möglich zu einem Waffenstillstand im Ukraine-Krieg zu kommen. Außenministerin Annalena Baerbock kündigte eine konzertierte Antwort der G7-Gruppe auf die weltweiten Folgen des russischen Angriffskriegs in der Ukraine wie die sich abzeichnende Ernährungskrise an. Unterdessen kündigt die EU weitere Hunderte Millionen Euro für Waffen für die Ukraine an.

Die strategische Niederlage Russlands ist nach Ansicht des ukrainischen Präsident Wolodymyr Selenskyj inzwischen unübersehbar. "Sie sind Feiglinge und versuchen, diese Wahrheit hinter neuen Raketen-, Luft- und Artillerieangriffen zu verbergen", sagte Selenskyj in einer Videobotschaft.

75-minütiges Gespräch zwischen Scholz und Putin

In dem Telefonat am Freitagvormittag habe Scholz eine Verbesserung der humanitären Lage und Fortschritte bei der Suche nach einer diplomatischen Lösung des Konflikts gefordert, wie Regierungssprecher Steffen Hebestreit mitteilte. Laut Hebestreit sprachen der Kanzler und Putin zudem über die globale Lebensmittelversorgung, die wegen des russischen Angriffskriegs angespannt ist. "Der Bundeskanzler erinnerte daran, dass Russland hier in besonderer Verantwortung steht", schrieb der Regierungssprecher. Aus dem Kreml hieß es zu dem Gespräch, Putin habe "ausführlich" über Russlands Ziele in der Ukraine informiert. Ein Fokus des Gesprächs habe auf humanitären Aspekten gelegen. Scholz hatte nach Kriegsbeginn mehrfach mit Putin telefoniert, dann brach der Kontakt aber ab.

G7 zu weiteren Hilfen bereit

Die britische Außenministerin Liz Truss sprach sich beim G7-Treffen an der Ostseeküste für zusätzliche Anstrengungen zur Unterstützung der Ukraine aus. "Um der Ukraine zu helfen, müssen wir noch weiter und schneller vorangehen", sagte sie. Dies bedeute auch, dass der Ukraine ein klarer Weg zur Beschaffung von militärischer Ausrüstung nach Nato-Standard aufgezeigt werden müsse. Bislang nutzt das von Russland angegriffene Land überwiegend Ausrüstung, die noch in der damaligen Sowjetunion entwickelt wurde. Das erschwert es dem Westen derzeit auch, Nachschub an Waffen und Munition zur Verfügung zu stellen.

Die EU will weitere 500 Millionen Euro für die Lieferung von Waffen und Ausrüstung an die ukrainischen Streitkräfte zur Verfügung stellen. Das kündigte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am Freitag am Rande des G7-Außenministertreffens nahe dem Weißenhäuser Strand an der Ostsee an. Das Geld solle für schwere Waffen ausgegeben werden. Damit würden sich die für die Ukraine zur Verfügung stehenden EU-Mittel für Militärhilfe auf zwei Milliarden Euro erhöhen. Ein erstes Paket über 500 Millionen Euro war bereits Ende Februar bewilligt worden, zwei weitere folgten dann in den nächsten Monaten.

Schwedische Analyse zeigt Vorteile eine Nato-Mitgliedschaft

Eine Sicherheitsanalyse zeigt in Schweden Vorteile eines Nato-Beitritts des bislang bündnisfreien Landes auf. "Eine schwedische Nato-Mitgliedschaft würde die Schwelle für militärische Konflikte erhöhen und damit einen konfliktpräventiven Effekt in Nordeuropa haben", heißt es in der am Freitag veröffentlichten Analyse. Eine klare Empfehlung für oder gegen einen Beitritt liefert das Dokument zwar nicht. Es gilt aber als Grundlage für einen Beschluss des skandinavischen EU-Landes zu einer möglichen Nato-Mitgliedschaft. Das traditionell bündnisfreie Schweden könnte damit wie das benachbarte Finnland umschwenken. Eine Entscheidung ist in wenigen Tagen zu erwarten.

Weiter Ringen um Rettung der Soldaten aus Stahlwerk Azovstal

Mit internationaler Unterstützung setzt die ukrainische Führung ihre Bemühungen um Rettung der Soldaten im belagerten Stahlwerk Azovstal in der Hafenstadt Mariupol fort. "Wir haben eine neue Runde der Verhandlungen eröffnet" sagte Vize-Regierungschefin Iryna Wereschtschuk. Kiew habe den UN und dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz das Mandat zu den Gesprächen mit der russischen Seite erteilt, die Türkei sei inzwischen als Vermittler dabei. Angestrebt sei eine Evakuierung in mehreren Etappen - an erster Stelle stehe die Rettung von 38 schwer verwundeten Verteidigern aus Azovstal. Im weitläufigen Stahlwerk in der Hafenstadt haben sich die letzten ukrainischen Verteidiger verschanzt. Russland lehnt bisher jede Evakuierung ab, fordert von den Ukrainern im Werk die Kapitulation.

Selenkyj weiter zu direkten Gesprächen mit Putin bereit

Selenskyj ist weiter zu direkten Verhandlungen mit Kremlchef Wladimir Putin bereit, stellt dafür aber Bedingungen. "Doch nur mit ihm, ohne dessen Mittler und nur unter der Bedingung eines Dialogs statt eines Ultimatums", sagte der 44-Jährige in einem am Freitag veröffentlichten Interview mit dem italienischen Fernsehen. Zugleich schränkte er ein, dass die ukrainische Gesellschaft solch einem Gespräch jetzt "nicht positiv" gegenüber stehe. Dagegen wiederholte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Freitag die russische Position, dass ein Treffen der beiden Staatschefs erst stattfinden könne, wenn es eine verbindliche Vereinbarung zwischen Moskau und Kiew gebe.

Russische Sanktionen weiterhin ohne Auswirkung auf Gasversorgung

Die von Russland angekündigten Sanktionen gegen Unternehmen im Energiesektor zeigen weiterhin keine Auswirkungen auf die Gasversorgung in Deutschland. Nach Angaben der Bundesnetzagentur vom Freitag ist die Versorgung stabil und die Versorgungssicherheit ist weiter gewährleistet. Durch Sanktionsmaßnahmen ausbleibende Gasmengen würden aktuell in vollem Umfang über den europäischen Gasmarkt beschafft. Russland hatte am Mittwoch Sanktionen gegen die Firma Gazprom Germania und andere ehemalige Tochterunternehmen des russischen Gaskonzerns verhängt. Außerdem war der Gas-Transit durch das Gebiet Luhansk im Osten der Ukraine gedrosselt worden./mrd/DP/jha