PARIS/LONDON (awp international) - Europas Aktien haben am Freitag im Sog schwacher Vorgaben der Überseebörsen nachgegeben. Der weiterhin starke Anstieg der Renditen am US-Anleihemarkt schürt bei den Börsianern Inflationsängste. Dies hatte am Vorabend bereits die Wall Street belastet, und auch in Asien war es in der Folge deutlich abwärts gegangen.

Äusserungen aus den Reihen der Europäischen Zentralbank (EZB) dämpften in Europa dann aber die wachsenden Inflationssorgen. EZB-Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel signalisierte eine weitere Stützung der Wirtschaft, falls dies durch einen starken Anstieg der Kapitalmarktzinsen notwendig werde. Das nahm den zuletzt deutlich gestiegenen Renditen für europäische Staatsanleihen prompt den Wind aus den Segeln und stützte den Aktienmarkt.

Der Eurozonen-Leitindex EuroStoxx 50 brach im frühen Handel zunächst deutlich ein, konnte die Verluste bis gegen Mittag aber eindämmen. Zuletzt stand das Börsenbarometer noch mit 0,38 Prozent auf 3671,37 Punkte im Minus.

Die steigenden US-Zinsen werden zum Problem für die Märkte, da mit ihnen das wichtigste Argument für den aktuellen Börsenhype angegriffen wird: Die Aussicht auf noch länger weit geöffnete Geldhähne der Währungshüter. Während die US-Notenbank eine Zinserhöhung vor 2023 als unwahrscheinlich ansehe, preisten die Anleihemärkte derzeit ein früheres Ende der lockeren Geldpolitik ein, schrieb Marktbeobachter Milan Cutcovic von Axitrader. "Das Argument von nicht zwangsläufig zu hohen Bewertungen am Aktienmarkt aufgrund tiefer Zinsen droht an Schlagkraft zu verlieren."

Optimistische Anleger indes setzen derzeit auf eine Erholung der Weltwirtschaft durch die Impkampagnen. Viele Anleger griffen daher bei dem gesunkenen Kursniveau vor dem Wochenende bereits wieder zu. Das zeigte sich auch an der Börse in Paris, wo der Cac 40 nach einem sehr schwachen Auftakt gegen Mittag noch ein Minus von 0,35 Prozent auf 5763,70 Zähler verbuchte. Die Londoner FTSE 100 lag hingegen abgekoppelt vom schwächeren Trend in Europa mit 0,68 Prozent im Plus bei 6623,55 Zählern.

Gleichzeitig läuft laut Marktbeobachtern eine Sektorrotation: Angesichts der Diskussion von möglicherweise zu heiss gelaufenen Bewertungen schichteten Anleger am Freitag um. So waren vor allem die zuletzt rückläufigen Pharmatitel gefragt. Am deutlichsten standen Werte aus den Rohstoff- und Ölsektoren unter Druck - hier machten Anleger nach dem zuletzt rapiden Anstieg zunächst einmal Kasse. Auch der Ölpreis war vor dem Wochenende zurückgekommen.

Unter den Einzelwerten bestimmte die Bilanzsaison weiterhin die Nachrichtenlage. Aktien des französischen Versorgers Engie verloren nach der Zahlenvorlage rund ein Prozent. Der Konzern hatte wegen der wirtschaftlichen Folgen durch die Corona-Pandemie im vergangenen Jahr im Tagesgeschäft rund ein Fünftel weniger verdient. Goldman-Analyst Rakesh Patel sprach zudem von einem schwächeren Ausblick, der sich aber mit Verkäufen und Sondereffekten erklären lasse.

Positive Ausreisser im allgemein etwas schwächeren Trend bei den europäischen Touristikwerten waren IAG . Die Papiere der British-Airways-Mutter verteuerten sich in London um zuletzt fast sechs Prozent. Der Konzern hat zwar wegen des nahezu brachliegenden Flugverkehrs im vergangenen Jahr einen Verlust von fast sieben Milliarden Euro verbucht, Branchenkenner lobten aber die stark gestiegene Liquidität des Konzerns. Auch Papiere des Buchungssystem-Anbieters Amadeus IT legten nach besser als befürchtet ausgefallenen Zahlen um mehr als drei Prozent zu.

In der Schweiz dagegen gehörten die LafargeHolcim -Anteile nach Zahlen mit knapp einem Prozent Minus zu den grössten Verlierern im Leitindex SMI . Auch der Baustoffkonzern hatte im schwierigen Corona-Jahr deutlich weniger verdient./tav/mis