Von Manuel Priego Thimmel

FRANKFURT (Dow Jones)--Ein Ende der Turbulenzen an den Börsen ist nicht in Sicht. Die Inflationsraten werden in den kommenden Monaten vermutlich weiter steigen. Damit werden die Zentralbanken, die der Inflation endlich ernsthaft die Stirn bieten wollen, immer mehr zum Problem für die Aktienmärkte. Eine Rezession in den USA im kommenden Jahr wird zunehmend wahrscheinlich. Eine solche ist nicht eingepreist, genauso wenig wie die Möglichkeit eines vollständigen Stopps der russischen Gaslieferungen.

Die Anleger sollten sich auf noch tiefere Kurse an den Börsen vorbereiten. Die am kommenden Freitag anstehenden europäischen Verbraucherpreise für Juni dürften deutlich machen, dass ein Inflationsgipfel nicht in Sicht ist. Die Commerzbank rechnet mit einem Rekord-Preisanstieg von 8,4 Prozent nach 8,1 Prozent im Vormonat. Auch in den USA dürfte es mit den Preisen in den kommenden Monaten weiter nach oben gehen. Die Analysten sehen den Höhepunkt der Inflation nun erst im Herbst.


   Zentralbanken-Put ist erst einmal Vergangenheit 

Das setzt die Zentralbanken weiter unter Druck und dürfte zur Folge haben, dass an den Finanzmärkten zusätzliche Zinserhöhungen eingepreist werden. An den Geldmärkten wird derzeit ein Leitzins von 3,60 Prozent in den USA bis Jahresende erwartet. Bei anhaltenden Preissteigerungen könnte er auch klar darüber liegen. Die steigenden Zinsen bleiben natürlich nicht ohne Folge für das Wachstum, aber zunehmend setzt sich bei den Zentralbanken die Meinung durch, dass dies der einzige Weg ist, der Inflation Herr zu werden. Der Zentralbanken-Put ist erst einmal Vergangenheit.

Zunehmend wird an den Märkten über eine mögliche US-Rezession im kommenden Jahr gesprochen. In den USA endeten laut der Commerzbank drei von vier US-Zinserhöhungszyklen seit Mitte der 50er-Jahre in einer Rezession. Auch wenn diese nicht so heftig ausfallen sollte, wie nach der Finanzkrise 2008, so würde sie doch einen weiteren heftigen Kursrutsch an den Börsen auslösen, ist eine Rezession zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch nicht ansatzweise in den Kursen eingepreist.


   Putin hält den Gas-Hebel in der Hand 

Ein kaum zu kalkulierbares Risiko stellt zudem die russische Gas-Politik dar. Zwar hat Europa die Abhängigkeit von den Gaslieferungen in den vergangenen Monaten verringert, ein plötzlicher Stopp würde aber nach wie vor eine schwere Rezession auslösen bei zugleich sprunghaft steigenden Energiepreisen, möglicherweise sogar mit neuen Rekordständen. Die Energiepreise sind zuletzt gefallen aufgrund der Erwartung einer notenbankinduzierten Abschwächung der Wirtschaft.

Der russische Präsident Putin ist sich dieser Vulnerabilitäten bewusst. Die jüngsten Drosselungen der Gas-Lieferungen dürften hauptsächlich den Zweck verfolgen, ein Auffüllen der Gasspeicher für den kommenden Winter zu verhindern. Je näher die kalten Monate rücken, desto größer wird die Wirkung des Energiehebels sein. Die Bundesregierung hat deshalb die Stufe zwei des Notfallplans Gas ausgerufen. Dies kann die Wirkung eines Gas-Stopps aus Russlands zwar abmildern, mehr aber nicht.


   DAX-Gewinnprognosen zu hoch 

Den Börsen stehen also weiter schwierige Monate bevor. Angesichts der oben beschrieben Szenarien erscheint der Markt noch immer nicht billig. Wie die Commerzbank anmerkt, erwarten Analysten derzeit rekordhohe Nachsteuer-Gewinnmargen von 8,4 Prozent für die DAX-Unternehmen und 12,7 Prozent für die S&P-500-Unternehmen, verglichen mit langjährigen Durchschnittswerten (20 Jahre) von 4,5 Prozent für den DAX und 7,9 Prozent für den S&P 500. Ab dem dritten Quartal dürften die Margenerwartungen nun deutlich fallen.

Die Commerzbank rechnet für 2022 mit einen DAX-Gewinnrückgang um 5 Prozent, für das Jahr 2023 sei sogar ein zweistelliger Rückgang wahrscheinlich. Den DAX sehen die Analysten im zweiten Halbjahr in einer Spanne zwischen 11.500 und 13.500 Punkten. Was müsste passieren, damit es an den Börsen wieder nach oben geht? Die Inflation bildet einen Gipfelpunkt, den Zentralbanken gelingt der Balanceakt zwischen Inflationseindämmung und Wachstumsbelastung und russisches Gas fließt weiter. Nicht unmöglich, aber unwahrscheinlich.

Kontakt zum Autor: manuel.priego-thimmel@wsj.com

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June 24, 2022 08:04 ET (12:04 GMT)