Von Herbert Rude

FRANKFURT (Dow Jones)--Die Verschnaufpause an den europäischen Aktienmärkten mündet in der kommenden Woche voraussichtlich schon in der nächsten Aufwärtswelle. Der DAX könnte seinen Anstieg mit dem nächsten Zwischenziel bei 15.500 bis 16.000 Punkte fortsetzen, mittel- und längerfristig sind weit höhere DAX-Stände wahrscheinlich. Marktteilnehmer sehen den DAX in einem so genannten Blue-Sky-Szenario, in der besten aller Börsenwelten. Zum einen bleiben die Geldschleusen weit geöffnet, und zum anderen steht die Konjunktur vor einer der stärksten Aufschwungphasen der vergangenen Jahrzehnte.

Offensichtlich haben viele Marktteilnehmer aber noch gar nicht akzeptiert, dass alles auf steigende Kurse hindeutet. Das Anlageverhalten wird nach wie vor von der Pandemie und der Diskussion um neue oder längere Lockdowns beherrscht. Und wenn über die Pandemie hinaus geschaut wird, stehen nicht etwa die Chancen im Vordergrund, sondern in erster Linie die Risiken einer aufziehenden Inflation. Anders ist es kaum erklärbar, dass laut der jüngsten Umfrage der Deutschen Börse zur Stimmung unter den DAX-Anlegern die Bären nun sogar das größte Lager stellen.

Zweifelsohne preist der DAX längst das Ende der Pandemie ein. Mit den steigenden Impfquoten dürfte die so genannte Herdenimmunität in Europa im Spätsommer erreicht werden. Dann beginnt aller Wahrscheinlichkeit nach die Boom-Phase. Die Sparquoten sind in der Pandemie in die Höhe geschossen. Zugleich erinnert die Pandemie aber viele Menschen daran, dass das Leben endlich ist. Die Pandemie hat gezeigt, dass auch der moderne Mensch trotz aller Vollkaskoversicherungen schneller in der Kiste liegen könnte als er denkt. Damit zeigt die Pandemie auf, dass es angesichts tödlicher Risiken wenig Sinn macht, Konsumwünsche oder Urlaubsreisen in die Zukunft zu verschieben.


  Boom nach Digitalisierungsphase - stark steigende Gewinnschätzungen drin 

Der bevorstehende Boom dürfte zu stark steigenden Gewinnschätzungen führen. Denn die Pandemie hat überall die Digitalisierung beschleunigt, deshalb ist die Produktivität hoch. Das wird die Rentablität bei anziehenden Umsätzen stark nach oben treiben. Wenn die Gewinnschätzungen dann kräftig nach oben genommen werden, wird sich herausstellen, dass DAX und Co plötzlich gar nicht hoch bewertet sind, sondern vielleicht sogar nur durchschnittlich. Und das bei Renditen, die auch bei weiteren Anstiegsphasen real weit im negativen Bereich liegen.

Rückschläge aufgrund von Tapering-Diskussionen werden sich somit auf lange Zeit als Kaufgelegenheiten entpuppen. Solange die Wirtschaft wächst, wird aber selbst ein Zurückführen der Anleihenkäufe die Hausse vermutlich nur unterbrechen und nicht beenden. Gefährdet wäre die Hausse erfahrungsgemäß erst nach mehreren Leitzinserhöhungen, und die sind laut Notenbank noch weit entfernt.


   Exzellentes Chance-Risiko-Verhältnis 

Die Risiken für das Szenario sind offensichtlich. Neue Varianten oder Mutanten könnten die Pandemie verlängern und die so genannte Herdenimmunität verhindern. Die beste aller Börsenwelten würde dann wohl von neuen Volatilitäts-Stürmen regelrecht weggeblasen.

Hier kommt nun die technische Analyse ins Spiel. Zuletzt hat die Hausse weiter an Breite gewonnen, nach dem KDAX ist auch der Stoxx-600 auf neue Höchststände gestiegen. Marktanalyst Wieland Staud von Staud Research spricht deshalb von einem exzellenten Chance-Risiko-Verhältnis. Schon Kurse unter 14.400 im DAX oder unter 3.780 im Euro-Stoxx-50 würden ein Ende der Hausse signalisieren und die Ausbrüche vieler Indizes auf neue Allzeit- oder Mehrjahreshochs als Bullenfallen entlarven, sagt Staud.

Damit bieten sich diese Marken als Stops an. Während das Risiko im DAX also auf 800 Punkte begrenzt ist, dürfte das Aufwärtspotenzial auf Sicht der kommenden 18 bis 36 Monate ein Vielfaches betragen.


  Kräftig steigende Gewinnschätzungen drin - zunächst in den USA 

An die Endlosschleife der Berichtsaison zum vergangenen Jahr schließt nun nahezu nahtlos die Berichtsaison zum ersten Quartal an, zunächst in den USA. Dort sind die Impfquoten schon deutlich höher als auf dem europäischen Kontinent. Möglicherweise werden die Zahlen und Ausblicke bereits zum Anlass für steigende Gewinnschätzungen und bieten damit einen Vorgeschmack auf die künftige Entwicklung auch in Europa. Im Blick stehen in der kommenden Woche unter anderem die Zahlen der Finanzkonzerne Citi, Goldman und JP Morgan. In Europa stehen Zahlen von Givaudan und von L'Oreal auf der Agenda.

Auf der Konjunkturseite könnte der zuletzt schon sehr starke Philadelphia-Fed-Index Impulse liefern. Daneben werden in den USA unter anderem Zahlen zum Einzelhandelsumsatz, zur Industrieproduktion, zum Verbrauchervertrauen und zur Preisentwicklung veröffentlicht. Zahlen zum Bruttoinlandsprodukt werden aus Großbritannien und aus China erwartet. Und am Freitag laufen an der Eurex die Aktien- und Index-Optionen mit Laufzeit April aus.

Kontakt zum Autor: maerkte.de@dowjones.com

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April 09, 2021 05:45 ET (09:45 GMT)