CARBIS BAY (dpa-AFX) - Der britische Premierminister Boris Johnson hat die G7-Staaten unmittelbar vor deren Gipfeltreffen zur Spende von einer Milliarde Corona-Impfdosen an Entwicklungsländer aufgefordert. "Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, die Pandemie zu überwinden, die Gefahr eines neuen Auftretens zu minimieren und unsere Wirtschaft nach dieser Tragödie besser wiederaufzubauen", schrieb Johnson in einem Gastbeitrag in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (Donnerstag/Online).

Daher müsse der am Freitag beginnende Gipfel im südwestenglischen Cornwall "ein hohes, aber absolut notwendiges Ziel" verabschieden und Entwicklungsländern eine Milliarde Impfstoffdosen zur Verfügung stellen, schrieb Gastgeber Johnson. Angepeilt werden müsse, dass bis Ende 2022 alle Menschen auf der Welt geimpft werden können. Wichtig sei dafür vor allem Kooperation. "Es könnte keinen zwingenderen oder tragischeren Beweis für die Notwendigkeit globaler Zusammenarbeit geben als die Pandemie, die über die Welt hinweggefegt ist und mehr als 3,7 Millionen Menschenleben gefordert hat."

Die USA sagten vor dem Gipfel eine neue Spende von 500 Millionen Impfdosen an 92 ärmere Länder sowie an die Afrikanische Union zu. 200 Millionen Dosen sollen nach Angaben des Weißen Hauses zwischen August und Ende des Jahres geliefert werden, die übrigen 300 Millionen bis Juni 2022. US-Präsident Joe Biden sagte: "Unsere Impfstoffspenden beinhalten keinen Druck für Gefälligkeiten oder mögliche Zugeständnisse. Wir tun das, um Leben zu retten. Um diese Pandemie zu beenden." Biden stellte für Freitag eine Ankündigung der G7-Staaten zur Unterstützung der globalen Impfkampagne in Aussicht.

Der Kampf gegen die Pandemie, der Klimaschutz sowie der Umgang mit Russland und China stehen im Mittelpunkt des Treffens der Staats- und Regierungschefs von Freitag bis Sonntag in dem südwestenglischen Badeort Carbis Bay. Vorher entbrannte die Debatte neu, ob der Patentschutz für Impfstoffe aufgehoben werden soll, wie von Biden, vielen anderen Staaten und Entwicklungsorganisationen gefordert. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron kündigte am Donnerstag an, gemeinsam mit Südafrika auf dem G7-Gipfel einen Vorschlag auf den Tisch zu legen, um an einer zeitlich und räumlich begrenzten Ausnahmeregelung zu arbeiten.

Kanzlerin Angela Merkel und die EU-Kommission sprachen sich erneut gegen eine Aussetzung aus. In Regierungskreisen in Berlin hieß es, die Kanzlerin glaube nicht, dass eine Freigabe hilfreich und der Patentschutz das Problem sei. EU-Ratspräsident Charles Michel sagte: "Eine Aussetzung von Patenten mag gut klingen, aber sie ist keine Wunderwaffe."

Kritiker argumentieren, nicht die Patente seien das Hindernis, sondern Produktionskapazitäten, Kenntnisse und Rohstoffnachschub. Michel verwies darauf, dass aus der EU bereits mehr als 270 Millionen Impfstoffdosen in Drittstaaten exportiert worden seien. Zudem sei die EU der größte Unterstützer der Covax-Initiative für eine faire Impfstoff-Verteilung. Mit mehr als 2,8 Milliarden Euro würden bis Jahresende mindestens 100 Millionen Dosen an Impfstoff gespendet.

Erstmals seit zwei Jahren kommen die Staats- und Regierungschefs der G7-Gruppe wieder persönlich zusammen - wenn auch wegen Covid-19 unter strengen Vorsichtsmaßnahmen. Zur Gruppe der Sieben (G7) gehören die USA, Deutschland, Großbritannien, Kanada, Frankreich, Italien und Japan. Die Teilnahme an dem Gipfel ist die erste Auslandsreise des neuen US-Präsidenten Biden, der nach seiner Ankunft zunächst mit dem britischen Premierminister Boris Johnson zusammenkam.

Nach dem Streit über die Alleingänge seines Vorgängers Donald Trump schmiedet Biden wieder Allianzen mit Verbündeten und verfolgt einen Neuanfang in der demokratischen Wertegemeinschaft - auch, um einen Gegenpol zu Russland und China zu bilden. Als Gäste sind gleichgesinnte demokratische Staaten wie Südkorea, Südafrika, Australien und Indien zu dem Gipfel eingeladen.

Die G7-Staaten wollen dabei ihre Kräfte bündeln, um die Welt besser für künftige Virusausbrüche zu rüsten. "Globale Lösungen sind gefordert", steht in dem Entwurf einer "Gesundheitserklärung von Carbis Bay", der der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Darin verpflichten sich die Staats- und Regierungschefs, "die kollektiven Abwehrkräfte zu stärken, um durch wirksames multilaterales Handeln und ein gestärktes globales Gesundheitssystem besser gegen künftige Pandemien vorzubeugen, diese zu entdecken, darauf zu reagieren und sich davon zu erholen".

Zum Auftakt seiner ersten Auslandsreise als Präsident hatte Biden zum Schulterschluss demokratischer Länder gegen Autokraten aufgerufen. "Wir befinden uns an einem Wendepunkt der Weltgeschichte", sagte er am Mittwochabend vor US-Soldaten auf dem Luftwaffenstützpunkt Mildenhall in Ostengland. "Sie wissen besser als jeder andere, dass Demokratie nicht durch Zufall entsteht. Wir müssen sie verteidigen." Er fügte hinzu: "Wir müssen diejenigen in Misskredit bringen, die glauben, dass das Zeitalter der Demokratie vorbei ist."

Aus deutschen Regierungskreisen hieß es, die Beratungen vor dem Gipfel zeigten, dass der Multilateralismus wieder sehr gut funktioniere und "die G7 wieder da ist". Man wolle zeigen, "inwieweit offene, liberale, demokratische Gesellschaften ein attraktiveres Angebot sind auch an andere" Staaten.

Der G7-Gipfel ist das erste mehrerer Spitzentreffen von Biden in Europa. Am Montag nimmt Biden am Nato-Gipfel in Brüssel teil, wo am Tag darauf ein Treffen mit EU-Vertretern auf dem Programm steht. Am kommenden Mittwoch ist dann ein mit Spannung erwartetes Gipfeltreffen Bidens mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in Genf angesetzt, bevor der US-Präsident nach Washington zurückkehrt.

"Wir suchen nicht den Konflikt mit Russland. Wir wollen eine stabile, vorhersehbare Beziehung", sagte Biden vor den US-Soldaten. Aber die Vereinigten Staaten würden reagieren, wenn die russische Regierung "schädliche Handlungen" wie die Verletzung der Souveränität anderer Länder begehe. Er treffe Putin, "um ihm mitzuteilen, was ich ihm mitteilen möchte". Das Verbot von Organisationen des inhaftierten Kremlgegners Alexej Nawalny durch ein Gericht in Moskau am Mittwoch dürfte die Fronten vor dem Treffen weiter verhärten./cy/lw/lkl/cmy/bvi/aha/bk/DP/he