Von Manuel Priego Thimmel

FRANKFURT (Dow Jones)--Der Jahresbeginn hat die Börsen auf den Boden der Realität zurückgeholt. Zunehmend zweifeln die Anleger daran, dass die am Markt eingepreisten aggressiven Zinssenkungen für 2024 in der Form tatsächlich kommen werden. Die Zentralbanken werden vielmehr sicher stellen wollen, dass die Inflationsbekämpfung tatsächlich nachhaltige Erfolge zeigt, bevor sie den Zinssenkungszyklus starten werden. Werden die Zinsen zu früh gesenkt, droht eine Rückkehr des Inflationsmonsters mit den entsprechenden negativen Auswirkungen auf die Finanzmärkte. Das neue Jahr bringt aller Voraussicht nach die Zinswende, aber wohl nicht in der Wucht, wie von den Börsen antizipiert. Die Zeichen stehen also auf Korrektur an den Aktienmärkten, diese sollte aber überschaubar ausfallen.

Die jüngsten deutschen Inflationszahlen haben unterstrichen, dass der Kampf gegen die Inflation lange dauern wird. Die Inflation ist im Dezember auf 3,7 von 3,2 Prozent gestiegen. Auch europaweit ging es mit den Preisen im Dezember wieder nach oben auf 2,9 Prozent nach 2,4 Prozent im November. Dabei dürfte es sich nicht um einen einmaligen Ausreißer handeln. Angesichts der jüngsten Beschlüsse der Bundesregierung sollte die Inflation im Januar noch einmal steigen, heißt es seitens der Commerzbank mit Blick auf Deutschland. Auch wenn diese im Jahresverlauf dann tendenziell zurückgehen sollte, bleibe der Lohndruck stark, so dass sich die Inflation letztlich eher bei 3 Prozent als bei 2 Prozent - dem von der Europäischen Zentralbank (EZB) angestrebten Preisniveau - einpendeln dürfte.


   Markt preist für Eurozone Zinssenkungen von 150 Basispunkten ein 

Ein ähnliches Bild dürften die am kommenden Donnerstag anstehenden US-Verbraucherpreise für Dezember zeichnen. Diese sollten einerseits bestätigen, dass der Inflationsdruck tendenziell abnimmt. "Ein klares Signal, dass dies sehr rasch geschieht, erwarten wir aber nicht", so die Commerzbank. So stiegen die Mieten und die kalkulatorischen Mieten von Eigenheimbewohnern als wichtigster Ausgabenposten weiterhin kräftig, im Dezember vermutlich um etwa 0,5 Prozent gegenüber November, was auf die Jahresrate hochgerechnet etwa 6 Prozent entsprechen würde. Immerhin seien die Gebrauchtwagenpreise vermutlich wieder gesunken, ebenso die Preise für Hotelübernachtungen. Dagegen dürften die Benzin- und die Nahrungsmittelpreise wohl leicht zugelegt haben.

Die Märkte sind in ihren Zinssenkungsspekulationen sehr weit gegangen. Für den Euroraum werden für 2024 Zinssenkungen von 150 Basispunkten (Bp) eingepreist, in den USA sogar mehr. Eine erste Zinssenkung wird in den USA mit hoher Wahrscheinlichkeit für März, in Europa für April eingepreist. Mit Blick auf die EZB erwartet die Commerzbank eine erste Zinssenkung um 25 Bp aber erst im Juni, gefolgt von weiteren drei Zinssenkungen im gleichen Umfang im Quartalsrhythmus, sodass der Einlagensatz im Frühjahr 2025 bei 3,0 Prozent stünde. Für die USA rechnen die Analysten mit einem ersten Zinsschritt nach unten im Mai und für das Gesamtjahr mit Senkungen von insgesamt 200 Basispunkten.


   Krieg im Gazastreifen bislang nur eine Randnotiz 

Da die Rally an den Börsen seit November vor allem von Zinssenkungsfantasien beflügelt worden ist - allein für den DAX ging es mehr als 2.000 Punkte nach oben - besteht Korrekturpotenzial. Das bedeutet nicht, dass der DAX wieder unter das Niveau von 15.000 Punkte fallen wird, dafür haben sich die Zinssenkungserwartungen grundsätzlich zu sehr am Markt verfestigt. Ein Fall unter das Niveau von 16.000 Punkten ist aber durchaus möglich. Solange im DAX das Unterstützungsniveau von 15.550 Punkten hält, ist der Aufwärtstrend weiter intakt. Man könnte sogar sagen, dass es sich bei einer Korrektur bis auf dieses Niveau um eine gesunde Bewegung nach dem steilen Anstieg handelt.

Für darüber hinaus gehende Korrekturen müsste sich das fundamentale Umfeld ändern. Bislang war der Krieg im Gazastreifen für die Börsen nur eine Randnotiz. Zwar hat der Ölpreis immer mal wieder angezogen, um mehr als kurzfristige Sprünge hat es sich aber nicht gehandelt. Dies liegt vor allem daran, dass eine Eskalation etwa durch Einbeziehung des Irans, der Hisbollah oder der USA bislang vermieden worden ist. Es bleibt abzuwarten, ob sich an dieser Einschätzung nach der gezielten Tötung des Vizechefs der radikalislamischen Palästinenserorganisation Hamas in einem Vorort der libanesischen Hauptstadt Beirut, und damit im Kernland der Hisbollah, etwas ändern wird.


   DAX-Gewinnerwartungen sind solide 

"Im Roten Meer wurden bislang 25 Angriffe auf Handelsschiffe gemeldet und es gibt wachsende Spannungen zwischen Israel und dem Libanon. War man bislang davon ausgegangen, dass der Krieg zwischen der Hamas und Israel regional beschränkt bleiben wird, muss man nun eine Ausweitung auf mehrere Fronten fürchten", fasst CMC Markets die Lage zusammen. Die Situation im Nahen Osten sei ein Schlamassel und niemand habe aktuell eine Lösung bereit, um eine wirkliche Besserung in Aussicht stellen zu können. CMC sieht den DAX im Korrekturmodus, bislang allerdings vor allem weil die Anleger den Zeitpunkt der ersten Zinssenkung nach hinten verschieben.

Ermunternde Worte zum Schluss: Trotz des Dämpfers sieht die DZ Bank gute Gründe, dass die Jahresendrally nicht nur Substanz, sondern auch weiteres Potenzial hat. Die Kursentwicklung werde durch Unternehmensgewinne gestützt. "Wir sehen für den Löwenanteil der DAX-Gewinnerwartungen nur ein moderates Revisionsrisiko. Eine gewisse Erholung des Wirtschaftsumfeldes wurde zwar eingepreist, aber es steckt noch genug Pessimismus in den Kursen drin", heißt es. Die Analysten sehen weiteres Kurspotenzial durch eine Ausweitung des Kurs-Gewinn-Verhältnisses wegen des positiven Überraschungspotenzials, insbesondere für konjunktursensible Segmente. "Das DAX-Ziel 2024 lautet 17.500 und ist wahrscheinlich zu konservativ."

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January 05, 2024 07:51 ET (12:51 GMT)