Brüssel (Reuters) - Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban will die Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine blockieren.

Das kündigte Orban am Donnerstag in Brüssel vor Beginn des EU-Gipfels an. Die Ukraine habe noch nicht alle Bedingungen erfüllt, die die Europäische Union für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen gestellt hatte, sagte Orban, der im Kreis der 27 EU-Staats- und Regierungschefs bei dieser Frage isoliert ist. "Wir sind nicht in der Lage, mit den Verhandlungen zu beginnen", betonte er. Bundeskanzler Olaf Scholz, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, EU-Ratspräsident Charles Michel und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen versuchten, den nationalkonservativen Regierungschef in einem separaten Gespräch noch umzustimmen. Russlands Präsident Wladimir Putin sagte bei seiner Jahres-Pressekonferenz in Moskau, dass die ausländische Unterstützung für die Ukraine abzunehmen scheine.

Orban, der auch engere Kontakte zu Russland pflegt, klang auch beim Thema längerfristiger EU-Hilfen für die Ukraine wenig kompromissbereit. Kurzfristige Hilfen seien bereits im EU-Haushalt vorgesehen, sagte er. Scholz, Michel und von der Leyen wollen dagegen auf dem EU-Gipfel eine längerfristige Zusage für die Ukraine von mehr als 50 Milliarden Euro erreichen. Dafür gebe es derzeit keine Notwendigkeit, sagte Orban. Scholz äußerte sich nach dem Gespräch mit Orban zurückhaltend. "Deutschland unterstützt die Vorschläge der Kommission im Hinblick auf die Ukraine sehr", sagte der Kanzler. "Wir werden das jetzt auch aktiv versuchen, hier ein gutes europäisches Verständnis für das gemeinsame Handeln zu erarbeiten."

Der Ukraine-Krieg wird den zweitägigen EU-Gipfel dominieren. Dabei geht es auch darum, welche Zusagen man anderen Beitrittsaspiranten wie der Republik Moldau, Georgien oder Bosnien-Herzegowina macht. Die Staats- und Regierungschefs wollen auch über den Nahost-Konflikt sowie die Neujustierung der EU-Haushalts beraten. Scholz machte dabei mit Hinweis auf die Einigung über den Bundeshaushalt 2024 deutlich: "Es wird auch hier in Europa nicht darum gehen, sehr große zusätzliche Ausgaben zu beschließen."

SCHARFE KRITIK AN ORBAN

Viele EU-Staats- und Regierungschefs äußerten sich verärgert über Orban. "Wenn die Ukraine nicht von der EU und den USA unterstützt wird, wird Putin gewinnen", sagte der irische Ministerpräsident Leo Varadkar. Estlands Regierungschefin Kaja Kallas hoffte zumindest auf Teilzugeständnisse Ungarns. "Wir befinden uns nicht auf einem ungarischen Basar, auf dem wir eine Sache gegen eine andere austauschen können", kritisierte der belgische Ministerpräsident Alexander De Croo. "Die Ukraine ist ein Land, das die demokratischen Werte respektieren will ... Vielleicht eine Lektion für Orban selbst", fügte er in Anspielung auf die von der EU-Kommission kritisierten Verstöße gegen Rechtsstaatlichkeit in dem osteuropäischen EU-Land hinzu.

Die Kommission hatte Ungarn nach langem Streit erst am Mittwoch 10,2 Milliarden Euro an EU-Subventionen freigegeben, weil die Regierung in Budapest nach ihrer Einschätzung die EU-Bedingungen für die Unabhängigkeit der Justiz inzwischen erfüllt habe. Etliche Regierungen unterstellen Orban, dass er mit seinem Widerstand gegen die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine Druck für die Freigabe weiterer Mittel machen will.

Am Vorabend des Gipfels hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj betont, dass sein Land die notwendigen politischen Reformen für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen umgesetzt habe. "Ich zähle darauf, dass die Staats- und Regierungschefs der EU die Bemühungen der Ukraine anerkennen und diesen historischen Schritt vollziehen", erklärte er auf Online-Plattformen. "Die Ukraine hat ihren Teil erfüllt und bewiesen, dass sie trotz beispielloser Herausforderungen großartige Ergebnisse erzielen kann."

Orban forderte dennoch, dass man eine Entscheidung über die Beitrittsgespräche auf die Zeit nach der Europawahl im Juni 2024 verschieben sollte. Er hatte mehrfach betont, dass er dabei auf einen Auftrieb für rechtspopulistische Parteien in EU-Staaten setzt. Diese könnten danach auch an Einfluss etwa auf die EU-Kommission gewinnen. "Es gibt keinen Grund, jetzt über die Mitgliedschaft der Ukraine zu verhandeln", sagte Orban, der etwa Korruption und die Dominanz von Oligarchen in der ukrainischen Wirtschaft anprangerte.

Russlands Präsident Putin betonte in seiner Jahrespressekonferenz, dass er an den Zielen des Einmarsches in das Nachbarland festhalte. "Es wird Frieden herrschen, wenn wir unsere Ziele erreicht haben", erklärte er.

(Bericht von Krisztina Than, Bart Meijer, Andreas Rinke; redigiert von Christian Götz. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

- von Krisztina Than und Bart H. Meijer und Andreas Rinke