Tirana (Reuters) - Bundeskanzler Olaf Scholz und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen haben Serbien und Kosovo gedrängt, ihre Spannungen beizulegen.

"Beide Seiten müssen deeskalieren", sagte Scholz am Montag vor der Westbalkan-Konferenz in Tirana mit Blick auf einen Überfall einer serbischen Gruppe auf eine Polizeistation in Nordkosovo. Beide Länder hätten eine EU-Perspektive. "Der Grundlagenvertrag zwischen beiden Ländern beschreibt, wie der Weg einer Normalisierung stattfinden kann", fügte er mit Blick auf das Vorbild des Grundlagenvertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR hinzu. Dieser sah diplomatische Beziehungen zunächst unterhalb einer gegenseitigen staatlichen Anerkennung vor.

"Es ist wichtig für Serbien und Kosovo, miteinander zu kooperieren", betonte auch von der Leyen. Der Platz dafür sei im Rahmen des von der EU geführten Normalisierungs-Dialogs.

Der Streit beider Staaten überschattet das erste Gipfel-Treffen des sogenannten "Berlin Prozesses" außerhalb der EU und in der Region. Die EU möchte Albanien, Serbien, Kosovo, Nordmazedonien, Bosnien-Herzegowina und Montenegro möglichst rasch in die EU holen, dringt aber auf vorangehende Reformen. Von der Leyen sagte, die EU werde den Zugang zu dem EU-Binnenmarkt schrittweise lockern und Finanzhilfen im Gegenzug zu absolvierten Reformschritten erhöhen. Albaniens Ministerpräsident Edi Rama beklagte, die EU habe in dem von Deutschland angestoßenen "Berlin Prozess" nicht alle Zusagen für Hilfen eingehalten.

Der 2020 von der EU angebotene Wirtschafts- und Investitionsplan in Höhe von 30 Milliarden Euro hat bisher nach Angaben der EU-Kommission Investitionen im Umfang von 16 Milliarden Euro ausgelöst. Die westlichen Balkanländer wollen zudem eine Reihe gemeinsamer Erklärungen zur Zusammenarbeit in Bereichen wie Klima und Umweltverschmutzung, digitaler Wandel und der Handels- und Verkehrsvereinfachung unterzeichnen. Zudem wollen sie dem einheitlichen Euro-Zahlungsverkehrsraum beitreten.

Kanzler Scholz mahnte, dass sich die sechs Länder darauf konzentrieren sollen, auch die Integration innerhalb der Region voranzutreiben. Im vergangenen Jahr habe man drei Mobilitätsabkommen für den Westbalkan unterzeichnet, die mittlerweile vier der sechs Länder ratifiziert hätten. Nun sei es möglich, nur mit einem Personalausweis von einem Land ins andere zu reisen oder Jobangebote in einem Nachbarland anzunehmen. Ein Schwerpunkt des Berlin Prozesses in diesem Jahr ist, wie die Energieversorgung in der Region dekarbonisiert und auf Erneuerbare Energien umgestellt werden kann.

Scholz pochte darauf, dass die EU auch die Fortschritte in Nordmazedonien belohnen müsse. Bisher verhindert der EU-Staat Bulgarien mit dem Pochen auf eine Verfassungsänderung in dem Westbalkan-Staat eine weitere Annäherung. In Nordmazedonien wiederum scheiterte die von Ministerpräsident Dimitar Kovacevski vorgelegte Verfassungsreform bisher an der konservativen Opposition.

Scholz sagte, dass in Tirana auch der Russland-Ukraine-Krieg sowie die Eskalation in Nahost am Rande des Gipfels eine Rolle spielen würden. Neben Scholz sind unter anderem auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte und der griechische Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis in die albanische Hauptstadt gereist.

Bei den Gesprächen soll auch Migration eine Rolle spielen, auch wenn das Thema nicht offiziell auf der Agenda steht. Aber man werde die Regierungen der Region daran erinnern, dass es keine Politik des "Durchwinkens" von Migranten und Flüchtlingen nach Norden wie 2015 geben dürfe, sagte ein EU-Diplomat.

(Bericht von Andreas Rinke; redigiert von Ralf Bode. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)