Frankfurt (Reuters) - Bayer-Chef Bill Anderson muss gleich bei seiner ersten Hauptversammlung Kritik von Investoren einstecken.

Die leidgeplagten Anteilseigner ziehen knapp einem Jahr nach seinem Amtsantritt eine überwiegend negative Bilanz, noch immer sei keine Lösung für die Probleme des krisengeschüttelten Pharma- und Agrarkonzerns in Sicht. "Herr Anderson, Sie haben im ersten Jahr am Kapitalmarkt kein Vertrauen aufbauen können", bemängelte Ingo Speich, Leiter Nachhaltigkeit und Corporate Governance, bei der Fondsgesellschaft Deka, am Freitag bei der virtuellen Hauptversammlung des Unternehmens. "Ein gelungener Start sieht anders aus." Anderson warb um Geduld: Es gebe keine schnelle Lösung, aber er wolle die Wende bei Bayer schaffen.

Zum seinem Amtsantritt hatte der ehemalige Roche-Pharmachef Vorschußlorbeeren erhalten. Die Erwartungen waren hoch; der Amerikaner ist angetreten, um den Leverkusener Konzern, der vor einem hohen Schuldenberg und einem Verlust von fast drei Milliarden Euro im vergangenen Jahr steht, aus einer tiefen Krise zu führen. Sein Vorgänger Werner Baumann hatte Bayer mit der milliardenschweren Übernahme des Glyphosat-Entwicklers Monsanto einen schier nicht enden wollenden Rechtsstreit wegen der angeblich krebserregenden Wirkung des Unkrautvernichters ins Haus geholt und viel Vertrauen verspielt.

"DAS HAUS BAYER BRENNT LICHTERLOH"

Nach Einschätzung von Deka-Experte Speich blicken die Investoren auf ein verlorenes Jahr zurück, seit der letzten Hauptversammlung sei der Aktienkurs um 52 Prozent eingebrochen. "Unter Ihrer Führung, Herr Anderson, hat sich der Abwärtstrend und damit der Niedergang der Aktie sogar noch beschleunigt." Die Deka wollte daher den Vorstand von Bayer nicht entlasten. Der mit Spannung erwartete Kapitalmarkttag im März, an dem Anderson seine Strategie vorstellte, brachte laut Speich keine substanziellen neuen Erkenntnisse. Die größten Herausforderungen blieben weiter ungelöst.

"Das Haus Bayer brennt lichterloh und Sie als Hausherr fangen zuerst einmal an aufzuräumen, anstatt die Brände zu löschen", sagte Speich. "Wir erwarten eine viel stärkere Konzentration auf die Reduzierung der Rechtsrisiken, Verbesserung der Pharmapipeline und ein schlagkräftigeres Agrargeschäft." Die Fondsgesellschaft DWS kam dagegen zu dem Schluss, dass Anderson bereits wichtige Impulse gesetzt habe. "Uns ist bewusst, dass die Effekte dieser Maßnahmen teilweise erst mit Verzögerung eintreten werden", sagte ihr Vertreter Hendrik Schmidt. Die DWS wollte Vorstand und Aufsichtsrat entlasten, ebenso wie die Fondsgesellschaft Union Investment. Auch die beiden einflussreichen Stimmrechtsberater ISS und Glass Lewis empfahlen, für eine Entlastung zu stimmen. Letztlich wurde der Vorstand mit einer Zustimmung von 91,69 Prozent entlastet.

Anderson stehe nun in der Verantwortung, Lösungen für die von seinem Vorgänger geerbten Probleme zu finden, sagte Janne Werning, Leiter ESG Capital Markets bei der Union Investment. Die bisher von Anderson angekündigten Maßnahmen seien am Kapitalmarkt wirkungslos verpufft. Der Bayer-Chef will sich zunächst auf die Einführung eines neuen Organisationsmodells konzentrieren, das Bürokratie verringern soll und mit einem erheblichen Personalabbau zulasten vieler Führungskräfte verbunden ist. Die Dividende wird zum Abbau der Schulden für die nächsten drei Jahre auf ein Minimum zusammengestrichen.

Einer Aufspaltung des Konzerns, die manche Investoren gefordert hatten, hatte Anderson auf dem Kapitalmarkttag fürs erste eine Absage erteilt. Der Vorstand bleibe aber für alles offen. In den nächsten zwei bis drei Jahren werde sich das Unternehmen allerdings darauf konzentrieren, eine starke Pharma-Pipeline aufzubauen, die rechtlichen Risiken zu reduzieren, die Verschuldung von zuletzt 34,5 Milliarden Euro zu senken und das neue Organisationsmodell weiter einzuführen.

Anderson bekräftigte, dass Bayer alle Möglichkeiten in Betracht ziehe, um die Rechtsstreitigkeiten zu beenden. Wie der Konzern aber endlich einen Schlussstrich unter die Klagewelle ziehen will, die Bayer seit sechs Jahren belastet, ließ er offen. Die Aktionäre brauchen also weiter einen langen Atem. "Die Reise, die vor uns liegt, wird Herausforderungen mit sich bringen", sagte Anderson. "Aber ich bin überzeugt, dass es einen Weg gibt, die Wende bei Bayer zu schaffen." Die Aktionäre seien ungeduldig, sie hätten schon viel Zeit mit Problemen verbracht, entgegnete Marc Tüngler, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz. "Wir dürsten förmlich danach, dass sie etwas anders machen, bitte legen sie los."

(Bericht von Patricia Weiß, redigiert von Olaf Brenner. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)