Zürich/Frankfurt (Reuters) - Mit dem ersten großen Zukauf seit seinem Amtsantritt im März stellt Roche-Chef Thomas Schinecker den Pharmakonzern breiter auf.

Roche übernimmt für 7,1 Milliarden Dollar die im Bereich entzündliche Darmerkrankungen tätige Telavant von der Biotechfirma Roivant und der ebenfalls amerikanischen Pfizer. Das kündigte der Schweizer Pharmariese am Montag an. Nach Rückschlägen mit Medikamentenkandidaten in den Bereichen Alzheimer und Krebsimmuntherapie im vergangenen Jahr versucht Schinecker mit der Übernahme, über die schon im Juli spekuliert worden war, die Pipeline an Hoffnungsträgern aufzufüllen.

Um Patentverluste bei mehreren Umsatzrennern gegen Krebserkrankungen zu kompensieren setzt Roche zunehmend auf andere Therapiegebiete. Mit der Transaktion erhält Roche die Entwicklungs-, Herstellungs- und Vermarktungsrechte für den Wirkstoff RVT-3101 von Telavant in den USA und Japan. RVT-3101 befindet sich noch nicht auf dem Markt, nach den positiven bisherigen Resultaten will Roche nun sobald wie möglich aber eine für die Zulassung entscheidende Phase-III-Studie starten. "Wir freuen uns, diese vielversprechende neue Therapie in der Entwicklung in unser Portfolio aufzunehmen und sie Patienten so schnell wie möglich zur Verfügung zu stellen", erklärte Schinecker.

RVT-3101 soll gegen Entzündungen des Verdauungstraktes wie Colitis Ulcerosa und Morbus Crohn eingesetzt werden, an denen weltweit mehr als acht Millionen Menschen leiden. Der Wirkmechanismus habe zudem das Potenzial, gegen eine ganze Reihe weiterer Krankheiten eingesetzt werden zu können, erklärte Roche. RVT-3101 gehört zu einer Klasse von neuartigen Therapien, den sogenannten TL1A-Antikörpern, die zuletzt Käufer anzogen. So erwarb Sanofi die Rechte an einem TL1A-Antikörper von Teva, während Merck im April für 10,8 Milliarden Dollar Prometheus Biosciences schluckte.

Der Markt für entzündliche Darmkrankheiten gelte als lukrativ und sei deshalb auch hart umkämpft, erklärte Michael Kunz, Analyst der Luzerner Kantonalbank. Der Bereich sei bis zum diesjährigen Patentverfall des Medikaments Humira von AbbVie dominiert worden. Aber auch Takeda, Johnson&Johnson und Bristol Myers Squibb seien im Rennen. Schätzungen zufolge könnte das Umsatzpotenzial dieses Marktes auf 49 Milliarden Dollar von gegenwärtig 18 Milliarden anziehen. "Da sich das 'Who is who' der Pharma-Multis bereits auf dem Feld der Darmentzündung tummelt, wirft der doch recht sportliche Kaufpreis die Frage auf, ob dieser Zukauf auch wirklich der Befreiungsschlag sein kann, den Roche dringend bräuchte, um dem Aktienkurs wieder Beine zu machen", erklärte Kunz. Zuversichtlicher äußerte sich Stefan Schneider von Vontobel. Sollten die Phase-III-Ergebnisse die guten Daten früherer Studien bestätigen, habe RVT-3101 das Potenzial zum Umsatzrenner. Die Roche-Titel notierten am Montag zunächst kaum verändert. An der Börse ist Roche gegenwärtig rund 195 Milliarden Franken wert.

Der Abschluss des Telavant-Deals werde im laufenden Quartal oder in den ersten drei Monaten 2024 erwartet. Gemäss der Vereinbarung legt Roche zusätzlich zum Kaufpreis auch kurzfristige Meilensteinzahlung von 150 Millionen Dollar auf den Tisch. Außerhalb der USA und Japans halte Pfizer die Vermarktungsrechte. Roche habe die Option, mit Pfizer ein weiteres TL1A-Produkt zu entwickeln.

(Bericht von Oliver Hirt und Ludwig Burger, redigiert von Ralf Banser. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)